Patient – ein Wort mit Haltung
In meiner Praxis begegne ich Menschen in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen: mit Ängsten, Erschöpfung, Sucht, Trauer, Schuld oder existenzieller Leere. Doch so verschieden die Geschichten sind – eines ist ihnen allen gemeinsam: Sie haben den Mut gefasst, sich mitzuteilen. In diesem Akt liegt bereits etwas zutiefst Menschliches. Es ist nicht nur ein Schritt zur Besserung, sondern ein Ausdruck innerer Wahrheit.
Diesen Menschen sage ich nicht „Klient“, sondern „Patient“ – und das ganz bewusst.
Warum?
Weil der Begriff „Patient“ – abgeleitet vom lateinischen patiens – den Menschen als jemanden beschreibt, der leidet. Nicht im Sinne einer medizinischen Diagnose, sondern in einer tieferen, existenziellen Bedeutung: als Mensch, der fühlt, trägt, ringt. Der Begriff anerkennt das Leid und damit auch den Mut, es auszusprechen.
„Klient“ hingegen stammt aus dem ökonomischen Raum. Er erinnert an Vertragsverhältnisse, an Austausch von Leistung und Gegenleistung. Doch in der therapeutischen Beziehung geht es um mehr als eine Dienstleistung. Es geht um Begegnung, um Vertrauen, um Resonanz. Wer sich anvertraut, braucht nicht primär eine „Leistung“, sondern einen Raum, in dem er gehalten wird – in seinem Ringen, seinem Fragen, seinem Menschsein.
Ich habe in meiner Arbeit mit schwer leidenden Menschen erlebt, wie viel Kraft es braucht, überhaupt über das eigene Leid zu sprechen. Gerade deshalb empfinde ich es als meine Aufgabe, diesen Mut sprachlich zu ehren – nicht zu glätten oder zu neutralisieren.
Ich glaube, dass Worte nicht neutral sind. Sie schaffen Wirklichkeit. Und sie zeigen Haltung.
Deshalb sage ich „Patient“:
- Aus Achtung vor dem Leid, das Menschen bewegt.
- Aus Respekt vor der Geschichte, die jemand mitbringt.
- Aus Verantwortung für die Tiefe der therapeutischen Beziehung.
Für mich ist der Mensch, der in Therapie kommt, kein Konsument psychologischer Angebote. Er ist jemand, der sich auf den Weg gemacht hat – oft durch Dunkelheit, Zweifel und Scham hindurch. In dieser Bewegung steckt bereits eine existenzielle Kraft, die mehr ist als jede Diagnose. Viktor Frankl spricht vom Menschen als einem Wesen, das immer auf etwas oder jemanden ausgerichtet ist – auf einen Sinn, eine Aufgabe, eine Begegnung. Auch im Leiden bleibt der Mensch Mensch. Und genau das bringt der Begriff „Patient“ zum Ausdruck.
In einer Zeit, in der viele Begriffe funktionalisiert und entleert werden, will ich bewusst eine Sprache sprechen, die Menschlichkeit ausdrückt. Eine Sprache, die nicht glättet, sondern berührt. Eine Sprache, die nicht beschönigt, sondern wahrhaftig ist.
So verstehe ich Logotherapie: als Raum für den Menschen in seiner Ganzheit. Nicht als Dienstleistung, sondern als Mitgehen, als Mittragen.
Der Mensch ist keine Nummer. Kein Fall. Kein Fall-„Klient“. Er ist jemand, der da ist. Der ernst genommen wird. Und der das Recht hat, in seiner Verletzlichkeit gesehen zu werden.
Dafür steht meine Praxis.
Und dafür steht mein Wort: Patient.