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Was ist ADHS? Ein Leitfaden für Eltern

Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine neuroentwicklungsbedingte Störung, die sich durch Probleme mit der Aufmerksamkeit, Impulsivität und oft auch übermäßige motorische Aktivität auszeichnet. ADHS betrifft Kinder, Jugendliche und Erwachsene und kann das Leben der Betroffenen sowie ihrer Familien erheblich beeinflussen. Studien zeigen, dass etwa 3-7 % der Kinder und Jugendlichen und etwa 2,5 % der Erwachsenen betroffen sind. Es ist wichtig zu betonen, dass ADHS keine „Erziehungssache“ oder „Charakterschwäche“ ist, sondern eine neurobiologische Besonderheit.

Unterschied zwischen ADHS und ADS

ADHS steht für „Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung“ und umfasst Symptome wie Hyperaktivität und Impulsivität. ADS hingegen beschreibt eine Variante ohne die ausgeprägte Hyperaktivität und wird oft als „Träumer-ADHS“ bezeichnet. Beide Formen gehören zum gleichen Störungsbild, zeigen jedoch unterschiedliche Schwerpunkte in den Symptomen:

  • ADHS:
    • Hyperaktivität steht im Vordergrund (z. B. „Zappeln“, Unruhe)
    • Impulsives Verhalten (z. B. Unterbrechen anderer)
    • Oft Probleme im sozialen Umfeld aufgrund auffälligen Verhaltens
  • ADS:
    • Hauptsächlich Aufmerksamkeitsprobleme (z. B. leichtes Abschweifen, Tagträumen)
    • Weniger auffällig im Verhalten, oft „still“
    • Häufig übersehen, da die Symptome subtiler sind

Entstehung von ADHS

Die genaue Ursache von ADHS ist noch nicht vollständig verstanden, aber die Forschung hat gezeigt, dass eine Kombination aus genetischen, neurobiologischen und umweltbedingten Faktoren zur Entstehung beiträgt.

  • Genetische Faktoren: ADHS hat eine hohe Erblichkeit, was bedeutet, dass Kinder von Eltern mit ADHS ein erhöhtes Risiko haben, ebenfalls betroffen zu sein. Studien zeigen, dass bestimmte Gene, die an der Regulation von Neurotransmittern wie Dopamin beteiligt sind, eine Rolle spielen.
  • Neurobiologische Faktoren: Bei Menschen mit ADHS zeigen bildgebende Verfahren oft Unterschiede in der Funktion und Struktur bestimmter Gehirnbereiche, insbesondere des Frontalhirns, das für Planung, Impulskontrolle und Aufmerksamkeit zuständig ist. Auch die Neurotransmitterregulation, insbesondere von Dopamin und Noradrenalin, ist beeinträchtigt.
  • Umweltfaktoren: Frühkindliche Belastungen wie Alkohol- oder Nikotinkonsum der Mutter während der Schwangerschaft, extreme Stresssituationen in der Familie oder Frühgeburt können ebenfalls die Entwicklung von ADHS begünstigen.

Symptome von ADHS

Die Symptome von ADHS können je nach Alter und Individuum variieren. Grundsätzlich lassen sich die Symptome in drei Hauptbereiche unterteilen:

  • Aufmerksamkeitsprobleme:
    • Leichte Ablenkbarkeit
    • Schwierigkeiten, Aufgaben zu Ende zu bringen
    • Vergesslichkeit bei alltäglichen Tätigkeiten
  • Hyperaktivität:
    • Unruhige Bewegungen („Zappeln“)
    • Schwierigkeiten, ruhig sitzen zu bleiben
    • Starkes Redebedürfnis
  • Impulsivität:
    • Unterbrechen anderer
    • Schwierigkeiten, auf die eigene Reihe zu warten
    • Unüberlegte Handlungen

ADHS im Kindesalter

Bei Kindern macht sich ADHS häufig in der Schule bemerkbar, da dort Aufmerksamkeit und Selbstkontrolle stark gefordert sind. Typische Anzeichen sind:

  • Konzentrationsprobleme im Unterricht
  • Schwierigkeiten, still zu sitzen
  • Häufige Konflikte mit Gleichaltrigen oder Lehrern

Eltern erleben ihre Kinder oft als sehr energiegeladen, aber auch als schwer führbar, was zu Frustration auf beiden Seiten führen kann.

ADHS im Erwachsenenalter

ADHS verschwindet nicht immer mit dem Erwachsenwerden. Viele Betroffene erleben weiterhin Symptome, die sich jedoch anders äußern können, z. B.:

  • Probleme mit Zeitmanagement und Organisation
  • Schwierigkeiten, berufliche oder private Beziehungen aufrechtzuerhalten
  • Häufige Gefühle von Überforderung

Da die Hyperaktivität oft nachlässt, bleibt die Aufmerksamkeitsproblematik oft im Vordergrund. Erwachsene mit ADHS haben ein erhöhtes Risiko für Begleiterkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen.

Auswirkungen auf den Alltag und Komorbiditäten

ADHS kann erhebliche Auswirkungen auf den Alltag haben. Bei Kindern können dies Schwierigkeiten in der Schule (Leistungsabfall, soziale Isolation), im sozialen Umfeld (Konflikte mit Gleichaltrigen) und in der Familie (ständige Auseinandersetzungen) sein. Bei Erwachsenen können Probleme im Beruf (Konzentrationsschwierigkeiten, mangelnde Organisation), in Beziehungen (Partnerschaft, Familie) und im Selbstwertgefühl auftreten. Oftmals tritt ADHS zusammen mit anderen Störungen auf (Komorbiditäten), wie z.B. Lernstörungen (Legasthenie, Dyskalkulie), Angststörungen, Depressionen, oppositionelles Trotzverhalten oder Schlafstörungen. Diese Begleiterkrankungen beeinflussen die Symptomatik und erfordern eine differenzierte Behandlung.

Diagnose von ADHS

Eine Diagnose kann nur von qualifizierten Fachleuten (Ärzte, Kinder- und Jugendpsychiater, Psychotherapeuten mit ADHS-Expertise) gestellt werden. Der diagnostische Prozess umfasst in der Regel eine ausführliche Anamnese (Erhebung der Krankengeschichte), Verhaltensbeobachtungen und den Einsatz standardisierter Fragebögen. Es ist wichtig, ADHS von anderen Erkrankungen oder Verhaltensweisen abzugrenzen, die ähnliche Symptome zeigen können (z.B. Anpassungsstörungen, Traumafolgestörungen, Schilddrüsenerkrankungen).

Behandlung von ADHS

ADHS erfordert in der Regel einen multimodalen Behandlungsansatz, der verschiedene Therapieformen kombiniert.

  • Verhaltenstherapie: Eine der Hauptbehandlungsmethoden bei ADHS ist die Verhaltenstherapie. Diese hilft, problematisches Verhalten zu erkennen und durch angemessene Strategien zu ersetzen. Elterntrainings können ebenfalls hilfreich sein, um den Umgang mit dem betroffenen Kind zu verbessern.
  • Medikamentöse Therapie: Medikamente wie Stimulanzien (z. B. Methylphenidat) können die Symptome von ADHS effektiv lindern, indem sie die Balance der Neurotransmitter im Gehirn verbessern. Sie sollten jedoch immer in Kombination mit anderen Therapieformen eingesetzt werden und nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung in Absprache mit dem behandelnden Arzt. Es ist wichtig, sich über mögliche Nebenwirkungen zu informieren und unbegründete Ängste abzubauen. Medikamente sind nicht die erste Wahl, können aber in bestimmten Fällen eine wertvolle Unterstützung sein.
  • Logotherapie: Die Logotherapie nach Viktor Frankl bietet eine sinnzentrierte Perspektive auf die Behandlung von ADHS. Hierbei geht es darum, dem Betroffenen zu helfen, einen tieferen Sinn in seinen Herausforderungen zu finden und damit besser mit seinen Symptomen umzugehen. Dies kann durch wertorientierte Interventionen, Sinnfindung in kleinen Aufgaben und existenzielle Reflexion geschehen.
  • Logotherapie in Kombination mit Verhaltenstherapie: Besonders wertvoll erweist sich die Kombination der Logotherapie mit verhaltenstherapeutischen Werkzeugen. Während die Verhaltenstherapie konkrete Strategien zur Verhaltensänderung liefert (z.B. Zeitmanagement, Impulskontrolltechniken), bietet die Logotherapie einen tiefergehenden Rahmen der Sinnfindung und Akzeptanz. Das Menschenbild der Logotherapie, das den Menschen als sinnsuchendes Wesen betrachtet, vermittelt Halt und Zuversicht. Diese Kombination stärkt sowohl die Selbstwirksamkeit als auch das Sinnerleben, was sich nachweislich positiv auf den Umgang mit ADHS auswirkt. Der Patient lernt nicht nur, seine Symptome zu managen, sondern auch, einen Sinn in seinem Leben trotz oder gerade wegen der ADHS zu finden. Dies kann zu einer deutlichen Steigerung des Selbstwertgefühls und der Lebensqualität führen.
  • Ergänzende Therapien: Neben den genannten Therapieformen können auch Ergotherapie (bei motorischen Schwierigkeiten), Neurofeedback oder Entspannungstechniken unterstützend wirken.

Wie können Eltern helfen?

Eltern spielen eine entscheidende Rolle in der Unterstützung ihres Kindes. Hier sind einige Tipps:

  • Wissen aneignen: Verstehen Sie die Mechanismen und Symptome von ADHS. Informieren Sie sich auch über die Rechte von Kindern mit ADHS in der Schule (z.B. Nachteilsausgleich).
  • Struktur bieten: Klare Routinen und feste Regeln helfen Ihrem Kind, sich zu orientieren und den Alltag besser zu bewältigen. Dazu gehören feste Schlafenszeiten, regelmäßige Mahlzeiten und wiederkehrende Abläufe bei Hausaufgaben und anderen Aufgaben. Visualisieren Sie diese Strukturen gegebenenfalls mit Plänen oder Checklisten.
  • Positive Verstärkung: Konzentrieren Sie sich auf positive Verhaltensweisen und belohnen Sie diese gezielt. Vermeiden Sie übermäßige Kritik und bestrafen Sie Fehlverhalten nicht ständig. Loben Sie Ihr Kind für Anstrengungen und Fortschritte, auch wenn diese klein erscheinen.
  • Eigene Ressourcen stärken: Nehmen Sie Unterstützung in Anspruch, z. B. durch Elternberatungen, Selbsthilfegruppen oder Familientherapien. Der Austausch mit anderen betroffenen Eltern kann sehr hilfreich sein, um Erfahrungen zu teilen und sich gegenseitig zu unterstützen. Scheuen Sie sich nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn Sie sich überfordert fühlen.
  • Fokus auf Stärken: Lenken Sie den Blick nicht nur auf die Defizite, sondern erkennen und fördern Sie die individuellen Stärken und Talente Ihres Kindes. Menschen mit ADHS haben oft besondere Begabungen in Bereichen wie Kreativität, Sport, Musik oder handwerklichen Tätigkeiten.
  • Offene Kommunikation: Sprechen Sie offen mit Ihrem Kind über ADHS und erklären Sie ihm die Symptome auf altersgerechte Weise. Vermitteln Sie ihm, dass es nicht „schuld“ an seinen Schwierigkeiten ist und dass es Unterstützung bekommt. Fördern Sie eine offene Kommunikation innerhalb der Familie, in der Gefühle und Sorgen ausgesprochen werden können.
  • Zusammenarbeit mit der Schule: Suchen Sie den Kontakt zu den Lehrern Ihres Kindes und informieren Sie sie über die ADHS. Besprechen Sie gemeinsam mögliche Unterstützungsmaßnahmen im Unterricht, wie z.B. einen Nachteilsausgleich, einen ruhigen Arbeitsplatz oder zusätzliche Pausen.
  • Geduld und Verständnis: Seien Sie geduldig mit Ihrem Kind und zeigen Sie Verständnis für seine Schwierigkeiten. ADHS ist eine Herausforderung, die Zeit und Anstrengung erfordert, um sie zu bewältigen. Kleine Fortschritte sind genauso wichtig wie große Erfolge.

Langzeitprognose

ADHS ist keine „Krankheit“, die „geheilt“ werden muss, sondern eine neurobiologische Besonderheit. Mit der richtigen Unterstützung und Therapie können Kinder und Erwachsene mit ADHS ein erfülltes Leben führen und ihre Stärken und Talente entfalten. Die Akzeptanz der Diagnose und die offene Kommunikation innerhalb der Familie und mit dem sozialen Umfeld sind wichtige Schritte, um mit ADHS gut umzugehen. Durch frühzeitige Intervention und konsequente Förderung können negative Auswirkungen auf die Entwicklung und das Selbstwertgefühl minimiert werden. Es ist wichtig, den Fokus nicht nur auf die Defizite, sondern auch auf die Ressourcen und Potenziale der Betroffenen zu legen. Mit der richtigen Unterstützung können Menschen mit ADHS ein selbstbestimmtes und erfolgreiches Leben führen.


Foto: https://adhshilfe.net/ads/

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